In Veneto, 1984-89
Guido Guidi


Text von Brad Feuerhelm
Übersetzung aus dem Englischen

Ich möchte hier den Mack-Titel In Veneto, 1984-1989 (2019) von Guido Guidi untersuchen. Es ist dies jenes Buch von Guidi, das mein Verständnis von seinen Arbeiten in einem gänzlich anderen Kontext als frühere Titel begründete. In diesem Buch geht es um fotografische Faszination und bestimmte Arten der Bilderzeugung, bei denen die Geschwindigkeit verringert werden muss, um sie vollständig zu würdigen.

Es gibt viele Fotograf*innen, die im Großformat arbeiten und Bilder erstellen, die hinsichtlich ihrer Bildkomposition oder ihres Inhalts einen gewissen „Pop“ aufweisen. Ich denke hier insbesondere an Joel Sternfeld und Stephen Shore, von deren Arbeit Guidi vermutlich ein Fan ist, wenngleich ihre Ziele unterschiedlich sind. Das verbindende Thema dort wäre Farbe und der post-egglestonische Vorschlag von Rot oder Gelb. (…)
Guidis Arbeit ist langsam und rücksichtsvoll und widmet dem Spektakel weniger Aufmerksamkeit als der Motivation, langsam durch Bilder zu grübeln.

Vielleicht noch wichtiger ist, dass Guidis in den 80er Jahren entstandene Arbeit stark auf die ländliche Landschaft ausgerichtet war und er mit seiner großformatigen Kamera Denkmäler für den Alltag in seinen Ausschnitten vorschlug. Historische Präzedenzfälle betreffend erinnern mich viele von Guidis stillen und menschenlosen Fotografien an Eugene Atget. In der Arbeit beider Künstler steckt etwas Monumentales, Langsames und Ungetümhaftes. Atget, der über die Veränderungen der Moderne nachdachte, befand sich an einem perfekten Punkt in der historischen/fotografischen Zeit, während Guidi seine Arbeiten speziell für die italienischen 80er Jahre herstellte, also 70 Jahre später, zu einer Zeit also, in der beschleunigte Veränderungen mehr als greifbar und spürbar wurden.

Wir haben einen hypermodernen technologischen und wirtschaftlichen Wandel durchlebt, der die sozialen und physischen Landschaften auf eine Weise überdeckt, dass mit Sicherheit davon auszugehen ist, dass Guidis In Veneto nicht zweimal auf dieselbe Weise nachverfolgt werden kann.

Ich vermute, wenn ich nach Cesena reisen würde, wo Guidi lebt und noch arbeitet, könnte ich denselben braunen Anstrich beobachten, der von derselben Holztür abbröckelt. Und dennoch fühlt sich dieses Buch bis zu einem gewissen Grad wie eine Zeitkapsel an. Aber ich denke, dass viele der Veränderungen, die wir in den letzten 40 Jahren erlebt haben, auch Teile seiner lokalen Landschaft verändert haben werden.

Weitere Überlegungen zu den Unterschieden zu den transatlantischen Zeitgenossen von Guidi gehören angestellt. Anstatt starke formale Kompositionen wie seine amerikanischen Kollegen zu erschaffen, vermag es Guidi, mit seiner Großformatkamera im Kleinbild zu denken.

Der Punkt ist, dass die Bilder die Kennzeichen der Großformatfotografie tragen, indem sie scharf, tief und kalibriert sind, und sich auf einem riesigen Stativ auf dem örtlichen Gelände bewegen müssen. Die Bilder selbst haben jedoch etwas, was wir als Schnappschuss-Ästhetik bezeichnen könnten.

(…)

Bei dieser Betrachtung ist noch zu erwähnen, dass es im Buch eine Reihe von Bildern gibt, die sich anfühlen, als wären sie aus dem Autofenster heraus gemacht, während des Fahrens, oder während eines kurzen Stopps für einen Schnappschuss.

Diese Art von Bildern ist nicht neu. Bei Guidi und seinem Fokus auf den Alltag ist aus meiner Sicht jedoch interessant, dass man einige der Fotos von In Veneto, 1984-1989, mit Bildern in Verbindung bringen kann, die in Google Street View zu finden sind. Die unscharfe Vignettierung von Google Street tritt zwar in der Arbeit nicht auf, aber die Kamerapositionen, der seltsame Fokus von Straßenkreuzungen und die unangenehme Platzierung von Personen fühlen sich so an, als ob die Umgebung „erfasst“ anstatt fotografiert wurde. Es wäre wohl schwierig, eine längere Verteidigung dieser Hypothese aufzubauen, aber wenn Sie sich etwas Zeit nehmen, um zu bedenken, dass Guidis ländliche Bilder einen Widerstand gegen das städtische hyper-sensationelle Bild darstellen, könnte man dieser Idee eine Ebene hinzufügen, indem man vorschlüge, seine Fotografien ​​fühlten sich an wie die letzte Kartierung des ländlichen Raums mit analogen Mitteln.

Marghera, Piazza Sant´´ Antonio © Google Street View, 2021

Guidi wiederholt ein Bild von Menschen auf diesen Straßen, die er betrachtet. Sie zeigen einen Marker, ein Zeitdenkmal (Kleidung, Stil usw.) und eine Skala an. Meine Lieblingsporträts sind die Bilder eines Mannes mit Schnurrbart, der entweder in die Ferne schaut oder auf etwas weiter unten zeigt. Er ist eindeutig einer der wenigen Komplizen im Buch, da die meisten Porträts ein Produkt der Umwelt sind und sich ihre Motive nicht wiederholen.

Die Farbe Rot ist auch in dem Buch sehr präsent, von der Beschriftung bis zur Verwendung des Fokus innerhalb des Rahmens, was Guidis natürlich gedämpfte und manchmal schlammige braune Palette ausgleicht. Die vereinheitlichenden Vorschläge, wie Guidi möchte, dass Sie sehen, was er tut, sind sehr subtil und in ihrer Subtilität liegt die Antwort auf das wie und warum er seine Leidenschaft in Fotografie und Gemeinschaft investiert hat. 

Guidi ist ein wahrer Meister des Mediums, dessen Relevanz ich endlich verstehen kann. Die kontemplative, reife und intrinsisch besorgte Arbeit erinnert mich im Kern daran, was die Fotografie denjenigen bietet, die ihre Umarmung suchen – nämlich jene langsame und bedeutungsvolle Weise, Bilder zu betrachten und zu machen, welche ein Gräuel sind für eine Welt, die sich ungebremst immer schneller dreht. Indem wir uns diesen Bilder widmen, haben wir die Gelegenheit, uns zumindest einen Moment lang Zeit zu nehmen, uns auszuruhen, bevor wir zur nächsten epochalen Umwälzung aufbrechen.

Höchste Empfehlung.

Quelle: https://americansuburbx.com/2020/03/understanding-guido-guidi-in-veneto-and-lunario.html
Buchabbildungen: © Guido Guidi/Mack 2019


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In Veneto, 1984-89
Guido Guidi

Mack 2019
Silkscreened paper hardcover
24 x 30 cm, 64 pages 
ISBN 978-1-912339-62-4


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